‚Am Donnerstag, den 12. März nachmittags war ich mit meiner Frau und einer Bekannten unterwegs nach Graz, um bei einer Veranstaltung des Steirischen Autorenverbandes zu lesen. Vorsorglich hatte ich mich erkundigt, ob die Lesung denn überhaupt stattfinden werde, zumal schon in den Tagen davor einige Events – außer offenbar in Tiroler Winter-Fremdenverkehrsorten – abgesagt worden waren. Ja, wurde mir mitgeteilt, denn Veranstaltungen mit bis zu hundert Personen im Saal seien ja nach wie vor erlaubt und mehr würden wohl aus Angst vor der seltsamen Grippe ohnedies nicht kommen. Auch der zweite Gastreferent des Abends, der Beststellerautor Dietmar Grieser (der Mann ist heuer immerhin 86) würde seine Zusage einhalten. Es waren dann tatsächlich weniger als hundert Leute im Publikum. Anschließend aßen wir noch mit der Verbandspräsidentin in einem für seine vorzügliche Hausmannskost bekannten Grazer Innenstadt-Gasthaus zu Abend. Das Lokal, in dem man sonst um diese Zeit einen Tisch reservieren muss, war weitgehend leer. Die Wirtin äußerte die Hoffnung, dass Gasthäuser schon am nächsten Tag behördlich schließen müssten, denn nur das würde es ihr ermöglichen, das Personal zu Hause zu lassen und auf verlustreiche Wareneinkäufe zu verzichten. Tatsächlich wurde die Lokalschließung anderen Tages, zunächst nur bis 15 Uhr, verordnet.
Nachher habe ich mir schon Gedanken darüber gemacht, noch am Samstag, den 7. März (bereits 79 auf Covid-19 positiv Getestete in Österreich) in der gut gefüllten Wiener Karlskirche an einem Gottesdienst zum 50. Geburtstag ihres Rektors teilgenommen zu haben, sowie am anschließenden Empfang im Kreuzherren-Palais, wo sich hunderte Menschen bei Speis und Trank bemühten, dem umlagerten Jubilar persönlich zu gratulieren. Schrecklich, wenn sich unter ihnen der eine oder andere Italien-Rückkehrer oder Ischgl-Urlauber befunden hätte.
Am darauffolgenden Montag, den 9.März (inzwischen 131 Positive und damit mehr als doppelt so viele wie 3 Tage zuvor) war ich bei einer Konferenz in Salzburg, habe auf der Hinfahrt das Frühstück im Railjet genossen und am Nachmittag noch mit Freunden das Cafe Tomaselli aufgesucht, wo das Personal – wie um diese Tageszeit üblich – köstliche Mehlspeisen („aber bitte mit Sahne“) durch die dicht gefüllten Reihen trug. Am Dienstag, den 10. März (bereits 172 Erkrankte) erfolgte die schon erwähnte Personenbeschränkung für Veranstaltungen und ein Verbot für Flüge aus Norditalien. Am 11. März (235 Erkrankte) wurden die Schulschließungen ab 16. März, für Volksschulen ab 18. März angekündigt.
So gibt es eine Reihe von Beispielen dafür, dass die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zunächst in einer Art erfolgten, die man mit dem schönen österreichischen Wort „zizerlweis“ umschreibt. Denn bekannt war das Killer- Virus schließlich schon lange. Die Covid-19-Erkrankung war im Dezember 2019 in der chinesischen Millionenstadt Wuhan ausgebrochen. Im Jänner 2020 wurde die erste Infektion außerhalb Chinas und kurz darauf in den USA verzeichnet. Anfang Februar überstieg die Zahl der Todesfälle bereits die der SARS-Pandemie von 2002 und Mitte Februar gab es die ersten Todesfälle in Frankreich und Italien, wo das Virus bereits seit Anfang des Monats Februar gewütet hatte. Im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ vom 15.Februar hält es ein US-Seuchenexperte für „sehr wichtig, dass sich das WHO-Team, das sich auf dem Weg nach China befindet, alle Daten genau anguckt“, und er warnt davor, sich in falscher Sicherheit zu wiegen. Das neuartige Virus könne nämlich „selbst für hochindustrialisierte Länder wie Deutschland oder die USA noch zu einer Herausforderung werden.“ Wirklich? Immerhin „schon“ knapp einen Monat später, am 11. März erklärte die WHO die Seuche zur „Pandemie.“
Der österreichische Bundeskanzler wusste zu berichten, dass ihn der israelische Ministerpräsident gewarnt und ihm strenge Maßnahmen empfohlen habe. Es ist gewiss erfreulich, dass unser junger Kanzler international so gut vernetzt ist. Allerdings hätte ich mir in Zeiten der Globalisierung erwartet, dass globale Kriege, Naturkatastrophen und Seuchen durch Institutionen wie UNO, WHO,EU und wie sie alle heißen, die uns lieb und auch teuer sind, zeitgerecht, global und professionell bekämpft werden, und unser nationales Wohl und Wehe nicht von den Ezzes eines befreundeten Regierungschefs abhängen könnte.
Am Donnerstag, den 12 März war die Zahl der Infizierten auf 290 gestiegen und es gab das erste Corona-Todesopfer in Österreich. Der Bundeskanzler verkündete im Radio den „Lockdown“. Bis zum Wochenende seien 1000 Erkrankte zu erwarten, Ende nächster Woche würden es bereits 10.000 sein. (Hat nicht ganz gestimmt, aber mit einiger Verzögerung dann doch). Jeder würde bald einen Corona-Toten kennen. Wohl besser: gekannt haben.
In seiner Radiobotschaft, die ich am Donnerstag, den 12. März auf der Fahrt nach Graz vernahm, hatte der Kanzler auch erklärt, Kinder dürften trotz Schulschließung keineswegs zu den Großeltern gebracht werden, da diese eine „Risikogruppe“ darstellen. Da habe ich mich zum ersten Mal „gewundert, was alles möglich ist“. Ein Regierungschef ist zwar im Staat der wichtigste politische Player, aber eben ein Vollzugsorgan. Als solches kann er zwar gute Ratschläge erteilen, aber nicht privates Verhalten ohne gesetzliche Deckung vorschreiben. Meine Familie hatte in ihrer Whatsapp-Gruppe schon am Vorabend, dem 11. März beschlossen, dass fünf unserer jüngeren Enkelkinder samt ihren zwei Müttern und einem im Home-Office werkenden Vater die kommenden schulfreien Quarantäne-Wochen bei uns in unserem geräumigen niederösterreichischen Haus am Land verbringen werden. Weil uns auch bei verantwortungsbewusster Abwägung die eigene Ansteckungsgefahr vernachlässigbar schien gegen die Zumutung für Kinder, wochenlang in einer Wiener 80m2 –Wohnung bei strikter Unterbindung fast jeder Ausgehmöglichkeit auszuharren und vielleicht auch noch zu lernen. .Wir waren übrigens keineswegs die einzigen mit solchen Überlegungen.
In den Aussagen des Bundeskanzlers an diesem 12. März war die Panik spürbar, in welche die Regierung angesichts der tragischen Ereignisse in Italien geraten war. Kein Wunder: Mussten doch Österreichs Spitzenpolitiker fürchten, im Fall ähnlicher Vorkommnisse hierzulande Haus und Hof zu verlieren.
Solche Panik der Autoritäten überträgt sich allerdings augenblicklich auf die ihnen Anvertrauten. Am Freitag, den 13. März konnte ich es auf Grund einer Telefoninformation zunächst kaum glauben, was sich in Wiener Lebensmittelmärkten abspielte, bis ich mich selbst überzeugt hatte: Der riesige Parkplatz unserer Supermarktfiliale war bis auf den letzten Stellplatz besetzt, wie ich dies früher nur einmal am letzten Einkaufstag vor Weihnachten erlebt habe. Insbesondere Konsumgüter, die schwer durch andere substituierbar sind, wie Klopapier, waren im Nu ausverkauft. Kassierinnen erzählten, noch nie eine derartig nervöse und aggressive Kundschaft erlebt zu haben. Allerlei Gerüchte machten die Runde, wie eine Totalsperre der Bundeshauptstadt, was zwar schon logistisch unvorstellbar scheint, aber doch geglaubt wurde.
Aber noch war es gar nicht so weit. Für alle die angekündigten Maßnahmen fehlten die in einem Rechtsstaat erforderlichen Gesetze. Und so beschlossen am Sonntag den 15. März (844 Erkrankte, 3 Tote) innerhalb eines Tages (was zuletzt in den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts der Fall gewesen ist) Nationalrat und Bundesrat eine Reihe gesetzlicher Regelungen, darunter ein Gesetz, das den Behörden gestattet, „das Betreten von bestimmten öffentlichen Orten zu untersagen“.
5 Tage später wurden dann wegen der Seuche die Österreichische Bundesverfassung und weitere 39 Gesetze geändert und 5 neue erlassen. Während die Opposition am 15. März noch geschlossen zugestimmt hatte, wurden da erste Bedenken zur Vorgangsweise laut. Ein Fernsehsender veranstaltete dazu eine „Expertendiskussion“, zu der man im Wissen, dass Heumarkt-Catchen allemal publikumstauglicher ist als Florettfechten, ausgerechnet den ÖVP-Mann Andreas Khol und den ehemaligen „Jetzt“-Abgeordneten Alfred Noll gegeneinander antreten ließ. Khol erklärte ziemlich emotional, dass die Abgeordneten Tag und Nacht gearbeitet hätten und alles verfassungsgemäß abgelaufen sei. Formal gewiss, verehrter Herr Professor, inhaltlich gesehen ist eine solche Behauptung allerdings netter Euphemismus oder, auf gut deutsch, Schönfärberei“. Denn auch die Genies unter unseren Volksvertretern konnten in dieser kurzen Zeit weder die rechtlichen noch die wirtschaftlichen Auswirkungen der Maßnahmen abschätzen, die sie da für eine noch unbestimmte Zeit in aller Eile beschlossen haben. .
Vielleicht könnte man das in hoffentlich nicht so bald wieder eintretenden Fällen besser machen. Indem man der Regierung die Möglichkeit einräumt, schnell selbst effektiv und effizient zu handeln, wenn´s auf Tage, vielleicht sogar Stunden ankommt, den Volksvertretern aber, sagen wir ein, zwei Wochen, Zeit gibt, diese Maßnahmen auf rechtliche Richtigkeit und Zweckmäßigkeit zu prüfen und zu bestätigen oder allenfalls in die eine oder andere Richtung zu korrigieren, noch bevor „alles vorbei“ ist. Der parlamentarischen Demokratie wäre damit mehr gedient als mit dem Abnicken von dutzenden Gesetzesbestimmungen durch die Volksvertreter binnen Stundenfristen.
Zwar kennt unsere Verfassung ein Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten, aber dieses scheint mit seinen Voraussetzungen („wenn der Nationalrat nicht versammelt ist“) angesichts heutiger Möglichkeiten von Videokonferenzen ziemlich aus der Zeit gefallen zu sein. Auch soweit dort ausgerechnet „Maßnahmen auf dem Gebiet des Arbeitsrechtes, Koalitionsrechtes und des Mieterschutzes“ ausgenommen sind.
Entsprechend. dem COVID-19 Gesetz, wonach das Betreten von bestimmten Orten zwecks Verhinderung der Seuchenausbreitung verboten werden kann, wurde dann eine Durchführungsverordnung erlassen. Aber bereits am 14. März, also schon vorher, erklärte der Bundeskanzler in einem Zeitungsinterview, „damit wir nach Ostern wirtschaftlich, gesellschaftlich, sozial wiederauferstehen können“ gebe es nur drei Gründe, das Haus zu verlassen, nämlich Berufstätigkeiten, die auch im Notbetrieb ausgeübt werden müssen, Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs und Besorgungen für Angehörige der „Risikogruppen“, sonst nichts. Als vierter Grund wurde dann in den darauf folgenden täglichen Auftritten der republikanischen Vierfaltigkeit, bestehend aus dem Bundes- dem Vizekanzler, dem Gesundheits- und dem Innenminister noch das Ausgehen zum Füße Vertreten, Luft schnappen oder (mit dem Hund) Gassi-Gehen genannt.
Egal, ob drei oder vier Gründe, in der Verordnung war überhaupt nicht vom Zuhausebleibenmüssen die Rede sondern nur vom Verbot des Betretens öffentlicher Orte mit Ausnahmen. Wer also beispielsweise mit seinem Auto von Privatgrundstück zu Privatgrundstück fuhr, um was auch immer dort zu tun, war nicht von den Verboten umfasst. Und so hatten wir also für die gewiss nötigen Freiheitseinschränkungen mehrere „Rechtsquellen“: Ein COVID -19 Gesetz, wo das alles nicht drin stand, was als notwendig erachtet wurde, eine darauf gegründete Verordnung, die tägliche Auslegung derselben im Fernsehen durch die republikanische Vierfaltigkeit und die praktische Vollstreckung durch Unterbehörden und Polizeiorgane, die sich bisweilen in vorauseilendem Gehorsam einer besonders martialischen Vorgangsweise befleißigten.
Ich erwähne hier nur beispielsweise ein paar Fälle, die mir hauptsächlich zwischen 20. März und Ostern persönlich erzählt wurden. Eine Mutter wird angezeigt, weil sie auf der Wiener Donauinsel mit ihren beiden kleinen Kindern Rad fuhr. Ein Senior, der allein auf eine Parkbank sitzt, wird im barschen Ton aufgefordert, nach Hause zu gehen. Die Ordinationsassistentin meiner Tochter wird auf ihrem Weg nach Wiener Neustadt zum Arbeitsplatz von einer Polizeistreife aufgehalten und soll nachweisen, dass sie beruflich unterwegs ist. Als ob man ständig im Auto seinen Dienstvertrag samt Diensteinteilung mitführte. Autofahrer, die ihr Auto in der Nähe von Wien abstellten, um in der Einsamkeit der Natur ein wenig Luft zu schnappen, wurden unbarmherzig angezeigt. Die Polizei, „Dein Freund und Helfer“ erwies sich in diesen und zahlreichen andren Fällen als „Dein Gegner und Verhinderer“. Dass den Ordnungshütern dabei selbst zumindest teilweise recht unbehaglich zumute war, zeigte sich daran, dass sie mit einem Lautsprecherwagen durch Wiener Straßen fuhren und Reinhard Fendrichs „I am from Austria“ abspielten. Mit der hier durchaus passenden Verszeile: „ I kenn….die Dummheit, die zum Himmel schreit.“
Generelle Anweisungen bergen halt immer die Gefahr in sich, im Einzelfall nicht das zu erreichen, wozu sie erlassen wurden oder manchmal sogar das Gegenteil zu bewirken. Goethe hat diese Weisheit im Faust bezeichnender Weise dem Teufel in den Mund gelegt: „Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage“.
Etwa das bereits erwähnte – ohnedies rechtlich unverbindliche – Großelternverbot Schon in der Generation 5o+ soll es Großeltern geben, die sehr wohl ihre Enkel beaufsichtigen können, wie es auch sehr rüstige Mitglieder der 65+ Generation gibt, während andererseits auch jüngere, mit chronischen Krankheiten behaftete Personen von einem schweren Krankheitsverlauf bedroht sein können. Die Wohltat, gefährdete Menschen zu schützen, kann so zur Plage für das Zusammenleben von Generationen werden.
Die Wohltat, Heiminsassen vor Ansteckung zu schützen, wird zur Plage, wenn diese in den letzten Lebenswochen ihre Angehörigen nicht mehr sehen dürfen. Oft habe ich in diesen Tagen auch an unser örtliches Wohnheim für kognitiv beeinträchtigte Jugendliche und Erwachsene „Wege zum Wohnen“ gedacht. Die Wohltat, sie vor der Ansteckung mit dem Corona-Virus zu schützen, musste gegen die Plage abgewogen werden, dass die Insassen es nicht begreifen konnten, ihre Tagesbetreuungsstätte nicht aufsuchen oder keinen Besuch ihrer Eltern empfangen zu dürfen, und sich ihr psychischer Zustand dadurch nachhaltig verschlechterte. Dem Betreuungspersonal kann diese verantwortungsvolle Abwägung keine noch so gut gemeinte abstrakte Gesetzesbestimmung abnehmen und darf es auch nicht.
Die vernünftige Regelung, dass sich fremde Menschen in Seuchenzeiten nicht zu nahe kommen dürfen, führt zu deren unsinniger Anwendung, wenn jemand allein unterwegs ist oder mit anderen, mit denen er ohnedies dauernd zusammen pickt. Die Vernunft, mittels staatlicher Kontrolle im Interesse von uns allen auf die Einhaltung der Regeln zu achten, wird zum Unsinn, wenn man die Leute bloß wegen einer Achtlosigkeit mit höheren Strafen bedenkt, als sie üblicherweise verhängt werden, wenn Autofahrer mit weit überhöhter Geschwindigkeit durch Ortsgebiete rasen. Dass man von der Möglichkeit einer Abmahnung viel zu wenig Gebrauch gemacht und die im Verkehrsrecht übliche Verhängung eines Organmandates erst Wochen später eingeführt hat, bleibt für „Otto Normalverbraucher“ ziemlich unverständlich.
Beschränkungen, die weit ins Privatleben aller eingreifen, bedürfen aber auch einer klaren, für alle verständlichen Sprache . Von Anfang an bis heute begleitet uns da der Ausdruck „Personen, mit denen man im gemeinsamen Haushalt lebt“ als Ausnahme von den zahlreichen Verboten. Dieser Rechtsbegriff, der bisher so gut wie ausschließlich im Sozialversicherungs- und im Beihilfenrecht vorkam und dort auch seine Berechtigung hat, taugt aber wenig zur Seuchenbekämpfung. Denn – bitte aufwachen!- wir leben im 21. Jahrhundert. Da soll es Jugendliche geben, die noch im „Hotel Mama“ logieren, oder auch ältere Singles, die dennoch öfters mit anderen, nicht im selben Haushalt wohnenden Menschen unter derselben Bettdecke kuscheln. Die sollen „vorher“ oder „nachher“ nicht gemeinsam spazieren gehen dürfen? Oder sollten sie gegenüber einem einschreitenden Polizeiorgan durch eindeutige Gesten ihre intime Beziehung „glaubhaft machen“?
Irgendwer kam nämlich auf die abstruse Idee, einen Meldezettel als „Glaubhaftmachung“ eines gemeinsamen Haushalts zu verlangen. Meine „Quarantänefamilie“, bestehend aus insgesamt 10 Personen, ging meistens im Wald spazieren. Wäre sie im Wiener Prater oder auf der Donauinsel unterwegs gewesen, hätte sie gewiss ein Polizeiorgan auseinandergetrieben. Einen gemeinsamen Meldezettel hätten sie nämlich nicht vorweisen können, zumal unter Verwandten innerhalb von zwei Monaten gar keine Meldepflicht besteht. Hätte man stattdessen etwa gesagt: „Personen, die mit anderen so zusammenleben, dass eine Ansteckung ohnedies unvermeidbar ist“ wäre das allgemein verständlicher, sachgerechter und auch nicht schwerer zu vollziehen gewesen als der „gemeinsame Haushalt“.
Der Bundeskanzler, sichtlich genervt vom journalistischen Informationsbedürfnis, was denn nun wirklich genau erlaubt und was verboten ist, meinte irgendwann, er habe nichts über für juristische Spitzfindigkeiten und wenn die Gerichte über Beschwerden entscheiden, werde ohnedies schon alles vorbei sein. Eine für einen Nichtjuristen gewiss verständliche Reaktion, aber nicht wirklich befriedigend. Denn wie kommen jene dazu, die sich von Behördenvertretern haben abschasseln lassen und ungerechtfertigt hohe Strafen bezahlten. Die anfängliche Idee Niederösterreichs, solche Strafen pauschal zurückzuzahlen, ist zwar rechtsstaatlich auch nicht das Gelbe vom Ei, aber doch anständiger als sich nur gegenseitig die Schuld für rechtswidrige Vorgänge zuzuschanzen.
Das Ganze hat aber noch eine weit über Corona hinausgehende Dimension. Jährlich werden in Österreich dutzende Gesetzesbestimmungen von Abgeordneten allzu leichtfertig, oft ohne ausreichende Begutachtung erlassen und nachher vom Verfassungsgerichtshof wieder aufgehoben. Es wäre an der Zeit, den von solchem „legislativen Unrecht“ Betroffenen eine Entschädigung in Form einer Staatshaftung für erlittene Vermögensnachteile zuzuerkennen. In einigen europäischen Ländern und auch in der EU gibt es das, bei uns nicht. Versuche darüber zu reden, stießen bei uns bisher auf taube Ohren. Ob sich das angesichts der zahlreichen Covid-19-Normen und deren teilweiser Aufhebung vielleicht ändert?
Dabei muss man unserer politischen Führung zugutehalten, dass sie in ihrem Bestreben, die Ausbreitung der Seuche mit aller Macht zu verhindern, im Vergleich zu anderen Staaten sehr viel Augenmaß bei Freiheitseinschränkungen gezeigt hat. So hat man insbesondere darauf verzichtet, generelle Ausgehverbote zu erlassen und so die Versorgungssicherheit zu gefährden. Das hat wohl auch zu einer größeren Bereitschaft der Bevölkerung geführt, sich an die Anordnungen zu halten. Es bestand daher – abgesehen von ein paar Unbelehrbaren – auch wenig Grund, aus lauter Angst vor der mangelnden Vernunft der Leute bei der Vollziehung der Normen strenger vorzugehen als es diese vorsehen und erwachsene Bürger wie kleine Kinder zu maßregeln. Das ist einer modernen Demokratie nicht würdig und könnte der Politik einmal grundsätzlich Anlass zum Umdenken geben.
Zumal es sich ja gezeigt hat, dass es auch anders geht. Die ständige Medienpräsenz unserer republikanischen Vierfaltigkeit , ihre Erklärungen, Drohungen und Belehrungen bestimmten ohnedies die Zeit vom 15. März bis nach Ostern. Wie auch in privaten Gesprächen kaum fünf Minuten verstrichen, ohne dass das Wort „Corona“ gefallen wäre, beherrschte dieses auch die Medien. Politikerdiskussionen und Einzelinterviews, Journalistenrunden und wissenschaftliche Erklärungen dominierten – nicht nur – das Hauptabendprogramm der Fernsehsender. Bisweilen hatte man den Eindruck, eigentlich dann von einer „Sondersendung“ reden zu müssen, wenn endlich einmal ein Spielfilm lief oder eine Doku gezeigt wurde, die nicht mit dem Virus zu tun hatten.
Besonders der von der Regierung unablässig propagierte Slogan „Schau auf Dich, schau auf mich, so schützen wir uns“, eigentlich eine zeitgemäße Fassung des christlichen Gebots der Nächstenliebe, bleibt wegen seiner Einfachheit und Treffsicherheit wohl unvergesslich. Das von der Regierung beigefügte Possessivpronomen „Ihre“ scheint zwar bei einem Staatsorgan überflüssig, da es ja zum Unterschied von sonstigen Werbetexten („Ihr Markenhändler“, „Ihre Fachwerkstätte“) ohnedies nur eine Bundesregierung gibt, sollte aber offenkundig das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen Regierung und Volk in Krisenzeiten betonen. Mich hat das an den einst legendären Wiener Polizeipräsidenten Joschi Holaubek erinnert, der einmal einen Stein-Ausbrecher, der sich in einem Wiener Wohnhaus verschanzt hatte, mit den Worten zum Aufgeben aufforderte: „ I bin´s, Dei Präsident“.
So schnell kann´s gehen! Ein paar Tage vorher hatte die Regierung noch ein ausgeglichenes Budget verkündet und das staatliche Schuldenmachen verdammt. Jetzt am 14. März angesichts der Schließung von Geschäften, Restaurants und Hotels bemühte man sich, den Menschen zu versichern, dass niemand in seiner wirtschaftlichen Not allein gelassen werde, koste es, was es wolle. Von der Regierung wurden zunächst 4 Milliarden und kurze Zeit später bereits 38 Milliarden Euro in Aussicht gestellt. (Inzwischen spricht man schon von 50 Milliarden)
Aber schon bei der konkreten Durchführung dieser Hilfsmaßnahmen erwies sich dann, was diese Epidemie schonungslos offenlegte: Die Gleichheit aller Bürger ist oftmals nur ein schöner Schein.
Das beginnt schon mit den Voraussetzungen, die nötig waren, um an das staatliche Füllhorn zu gelangen. Wer über entsprechend versierte Kräfte verfügte, hatte es gut, wer als Ich-AG sein Brot verdient, konnte, wie mir berichtet wurde, angesichts der auszufüllenden Formulare schier verzweifeln. Natürlich muss bei staatlicher Förderung Missbrauch möglichst vermieden werden, aber muss das alles wirklich so kompliziert sein, dass auch intelligente, beruflich erfolgreiche Förderungswerber sich eines Steuerberaters bedienen müssen, um zu ihrem Geld zu kommen?
Aber immerhin: Die vielgescholtene Sozialpartnerschaft, bestehend aus Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer hat in diesen Tagen für ihre Angehörigen eine vorösterliche Auferstehung erlebt. Wer allerdings einer kleineren berufsständischen Vertretung angehört, musste sich noch längere Zeit im Fasten üben. Meine Tochter hat die erste Lock-down-Woche ab dem 15. März vor allem damit zugebracht, um zu den für ihre Ordination notwendigen Masken und anderen medizinisch-hygienisch nötigen Artikeln zu gelangen. Diese waren entweder überhaupt nicht zu haben oder sind über Nacht um ein Vielfaches teurer geworden. Am 21.März musste sich Ärztekammerpräsident Szekeres mit einem „flehentlichen“ Hilferuf an den Gesundheitsminister wenden. „Es läuft die Zeit davon“, denn es gebe viel zu wenige Masken. Bauernbund- oder Wirtschaftsbundpräsidenten hätten sich da wohl etwas leichter getan als der Ärztechef.
Eine andere Gruppe, um die sich – scheinbar – alles zu drehen schien, waren die alten Leute, insbesondere die Alters- und Pflegeheiminsassen. Ihr Schutz vor Corona schien das größte Anliegen der Gesellschaft zu sein.
Die „Risikogruppe“ der älteren Mitbürger wurden von „ihrer“ Regierung und dem roten Kreuz im Fernsehen und in Zeitungsinseraten in einer Häufigkeit auf die Gefahren des Corona-Virus aufmerksam gemacht, die an Werbefilme einer Möbelfirma erinnerte. Von den „Enkerln“ war da die Rede, die man jetzt eine Zeitlang leider nicht sehen und nicht umarmen dürfe. Abgesehen davon, dass ich mich der Nachkommenschaft von neun Enkeln oder Enkelkindern erfreue, die aber für mich keine „Enkerln“ sondern junge Menschen sind: Ob und wie weit ich diesen nahe komme oder besser nicht, entscheide ich als noch nicht gänzlich altersdementer Bürger auf Grund meiner Lebenserfahrung selbst und nicht nach den Anweisungen „meiner“ Regierung oder des Roten Kreuzes. Noch dazu, wenn diese in jenem kindisch-larmoyanten Ausdruck und Tonfall vorgetragen werden, wie das Personal gelegentlich in Pflegeheimen mit Insassen kommuniziert. Diese Werbespots haben mich zeitweise so verärgert, dass ich ernsthaft überlegte, meine Mitgliedschaft zum Roten Kreuz aufzukündigen. Das Eigentum an „meiner“ Bundesregierung kann ich ja nicht feilbieten.
War es wirklich nur die Sorge um das Wohlergehen der älteren Generation? Oder ging es nicht eher darum, diese möglichst von allen Kontakten fernzuhalten, um die Gefahr eines Engpasses an Intensivbetten zu minimieren? Sogar noch Anfang Juli beschrieb ein Mitarbeiter in einer VP-Parteiaussendung das politische Ziel seiner Partei wie folgt: „Wie kann ich sicher sein, dass mein Opa geschützt ist“. Kann man bitte endlich einsehen, dass es weniger darum geht, was irgendjemand für seinen Opa oder auch seine Oma haben will, sondern darum, was diese selbst wollen und zu benötigen glauben. Und derart dumme Formulierungen von irgendwelchen unbedarften Werbefritzen einstellen?
Man wird wohl nie erfahren, wie viele sehr alte Menschen in den Pflegeheimen nicht an Covid-19 sondern deshalb gestorben sind, weil ihnen auf unbestimmte Zeit der Kontakt mit ihren Angehörigen verweigert und damit der letzte Rest noch vorhandenen Lebensmutes genommen wurde. Aber aus Erzählungen von Angehörigen habe ich erfahren, wie stark viele Alte darunter gelitten haben, dass sich andere zu wissen anmaßten, was für sie das Beste ist. Dass man in Heimen keinen Besuch anmelden konnte, weil zu der für Anmeldungen angegebenen Zeit das Büro halt gerade nicht besetzt war. Das ging ja sogar soweit, dass man zu einem Zeitpunkt, da sich die Menschenschlangen bereits wieder durch die Baumärkte schlängelten, noch rüstigen Heiminsassen untersagte, beim Optiker selbst ihre Brille abholen und einstellen zu lassen.
Diese unter dem Deckmantel des Altenschutzes verborgene Angst vor der Gefährdung der Gesundheitsstrukturen hat leider auch zu einer Desintegration unter den Generationen geführt. Denn verständlicherweise fragen sich viele junge Menschen, warum sie nur wegen der Alten ihren Arbeitsplatz verlieren oder auf ihre Freizeitgewohnheiten verzichten sollen, und warum man diese nicht besser bis zum Ende der Seuche aus dem öffentlichen Leben einfach aussperrt. Allerdings hat sich inzwischen herausgestellt, dass laut dem amtlichen „Dashboard“ des Gesundheitsministeriums die weitaus größte Gruppe der positiv Getesteten unter den jüngeren Jahrgängen zu finden ist. Gewiss, bei alten Menschen gibt es öfters schwerere Verläufe, wie auch bei anderen Erkrankungen auch. Aber auch jüngere Covid19 Patienten mussten intensivmedizinisch behandelt werden.
Die alten Menschen nicht übermäßig zu gefährden und ihnen dennoch ein sinnerfülltes Leben zu ermöglichen, war und ist in dieser Situation gewiss nicht leicht. Ich meine aber, hätten sie einen Gewerkschaftsbund, einen Wirtschaftsbund oder Bauernbund als Fürsprecher ihrer Interessen, wäre gewiss manch kreative Lösung möglich gewesen. So waren sie halt auf die Menschlichkeit und das Verantwortungsgefühl ihres Betreuungspersonals angewiesen, das im Rahmen seiner Möglichkeiten gewiss in der überwiegenden Zahl der Fälle Großartiges geleistet hat.
Die wohl größte Gruppe, die in den Pandemietagen ihre vergleichsweise geringe Bedeutung im Konzert der Pressuregroups zu spüren bekam, waren aber wohl die Familien, die Eltern und ihre Kinder und das trotz aller finanzieller Begünstigungen, die man ihnen zuteilwerden ließ.. Laut „Kurier“ vom Samstag, den 14. März antwortete Kanzler Kurz auf die Frage: „Ab Montag überlegen sich viele Eltern, welches Freizeitprogramm sie ihren Kindern bieten sollen. Was für Programm außer Haus ist denkbar?“ mit entwaffnender Ehrlichkeit: „Keines“. Es war aber nicht nur das Freizeitprogramm der kommenden Wochen, das den Eltern Sorge bereitete, sondern auch die Frage, wie sie ihre beruflichen Pflichten mit dem Heimunterricht ihrer Sprösslinge in Einklang bringen sollten, wo doch auch die übliche Notlösung mit den Großeltern entfallen sollte.
Der Kanzler erklärte später, dass es keine „Schande“ sei, wenn sich die Eltern überfordert fühlten und von dem Angebot der Kinderbeaufsichtigung in den Schulen Gebrauch machten. Danke, ganz lieb! Aber eine Gesellschaft, deren wirtschaftliches und soziales Wohlergehen offenkundig davon abhängt, dass Vati und Mutti möglichst bald nach der Geburt des Nachwuchses wieder einer Vollerwerbsbeschäftigung nachgehen, hat die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, ihren Anteil an den Erziehungsaufgaben auch in Krisenzeiten zu leisten. Das ist ein – wenn auch nicht expressis verbis formuliertes – soziales Grundrecht und nicht ein Gnadenakt.
So ganz war das aber nicht verwirklicht, wie ich auch in der eigenen Familie wahrnehmen konnte. Eltern sahen sich des Öfteren peinlichen Befragungen ausgesetzt, ob sie denn wirklich beide einer außerhäuslichen Tätigkeit nachgehen müssten, und für die Kinder war es auch nicht immer ein Vergnügen, unter Umständen mit einer entsprechend „motivierten“ Lehrkraft den Vormittag allein im Kindergarten oder in der Schule zu verbringen.
Was aber besonders nervte, war die lange Ungewissheit, ob überhaupt und wann ein Schulbetrieb wieder beginnen würde. Der Bildungsminister macht zwar den sympathischen, für Regierende eher unüblichen Eindruck, gelegentlich von Selbstzweifeln geplagt zu werden. Schließlich hat er sich sogar bei dem von seinem Chef dekretierten Großelternverbot leisen Widerspruch erlaubt. Aber die Eltern und ihre Kinder blieben über die Zukunft der Schule halt noch zu einer Zeit im Ungewissen, als bereits ein Kalender der Lockerungen für Geschäfte und Gasthäuser existierte, über Formel 1-Rennen in der Steiermark oder die Fortführung der Fußball-Bundesliga konkret verhandelt wurde und Ähnliches mehr.
Bezeichnenderweise gab es zu diesem Thema in einer ZIB-Spezial-Sendung am 8.April (zu dieser Zeit überstieg die Zahl der täglich Genesenden bereits beträchtlich die der Neuinfektionen) einen Kommentar von Hans Bürger, der sich aus den Aussagen des Ministers in der Manier früherer Kremlastrologen den Reim zu machen versuchte, dass die Schulen jedenfalls nicht nach Ostern, aber auch nicht erst im Herbst wieder aufmachen werden. Somit wussten die Eltern dann wenigstens, woran sie nicht sind.
Am 24. April war es aber dann endlich doch so weit. In einem neuerlichen ZIB-Spezial wurden wir darüber informiert, dass es ab 15. Mai wieder Schule geben werde. Aber was für eine! Kein Turnunterricht, versetzte Schulzeiten, die jene Eltern, die den „Fehler“ begangen haben, mehrere Kinder in die Welt zu setzen, vor neue Herausforderungen stellten. Wie etwa, ob man nun zur Mo-Di-Mi oder zur Do-Fr- Unterrichtsgruppe gehöre.
Der Minister verwies immer wieder auf die Notwendigkeit, Vorschriften vernünftig anzuwenden. Allerdings gibt es neben dem Corona-Virus bekanntlich auch das der Schul-Bürokratie, das sich vom ministeriellen Haus ausgehend „exponentiell“ bis in die Direktionskanzleien der Schulen und zu den Arbeitsplätzen der Lehrkräfte ausbreitet. Dessen Infektion verdankten wir etwa den Umstand, dass zwei meiner Enkelkinder, einander geschwisterlich verbunden, in der Schulbetreuung dazu angehalten wurden, einen 1m –Seitenabstand voneinander einzuhalten.
Wir machen uns derzeit zu Recht viele Gedanken, wie es mit unserer Wirtschaft, den Arbeitsplätzen, den Kleinunternehmen weiter gehen soll. Aber machen wir uns auch ebenso viele Gedanken über den Ausgleich der durch die Pandemie entstandenen Bildungsdefizite? Es ist schön, wenn der Bildungsminister einen zweiwöchigen freiwilligen Kurs vor Schulbeginn anbieten kann und wenn immerhin so viele Prozent teilnehmen, wie üblicherweise auf die Kundenbefragungen von Telefonanbietern oder Magazinen reagieren. Aber genügt das? Hätte man nicht über großzügigere Maßnahmen nachdenken sollen? Verkürzte Sommerferien. Streichung der heurigen Herbstferien. Dem steht allerdings der österreichische Verwaltungsgrundsatz im Wege: Des hamma noch nie so g´macht.“ Wenn der Bildungsminister einmal in einem Interview meinte, das ginge nicht, weil Eltern vielleicht schon Urlaube geplant hätten, ist das angesichts der zahllosen heuer abgesagten Urlaubsreisen fast schon ein kabarettistischer Einwand.
Freilich zeigt sich auch hier wieder, wer im Verbändestaat über Lobbys verfügt. Die Eltern sind es nicht, eher schon die Lehrer, deren Gewerkschaft zunächst einmal heftig reagierte, als die Frage aufkam, ob man nicht schulautonome Freitage nach Christi Himmelfahrt oder Fronleichnam streichen sollte.
Es geht um Dinge, auf die uns vor lauter Fallzahlen, Replikationsfaktoren, Testergebnissen, Wirtschafts- und Arbeitslosenprognosen der Blick verstellt wird. Ein Bekannter erzählte mir von einem kleinen Mädchen, das ganz verzweifelt darüber war, dass die Omi vielleicht nun sterben müsse, weil es diese beim letzten Zusammentreffen unbedacht umarmt habe. Was machte die Seuche mit Kinderseelen, die sich in der allgemeinen Panik nur schwer zurecht fanden, mit den Jugendlichen aus den so genannten bildungsfernen Schichten, überhaupt mit all jenen, die nicht durch politisch mächtige Bünde vertreten werden. Geschah nicht bisweilen aus lauter Angst vor dem Virus des Guten zu viel?
Und damit bin ich bei der Wissenschaft, die in diesen Krisenwochen unser Denken und Handeln wie noch nie bestimmt, sich aber auch wie noch nie mit ihren „wissenschaftlichen Erkenntnissen “ in so kurzer Zeit in der Öffentlichkeit derart disqualifiziert hat. Was man da – teilweise in Fernsehdiskussionen oft binnen Minuten – an unterschiedlichen Aussagen zu hören bekam, war in der Tat abenteuerlich.
Schon im Jänner fing es an, als uns eine Fachfrau im Ö1 Mittagsjournal auf Reporterfrage versicherte, dass dieses neue Virus aus China wohl nicht zu einer weltweiten Bedrohung werden würde. In der Folge konnte man von Wissenschaftlern alles hören und lesen, was man hören und lesen wollte – oder auch nicht. Bisweilen hatte man den Eindruck, dass schon alles gesagt worden sei, aber eben noch nicht von alle Virologen, Epidemiologen und sonstigen –logen, die für sich eine Kompetenz in Anspruch nahmen. Wobei schon bemerkenswert gewesen ist, dass hauptsächlich Mathematiker und Virologen ihre Ansicht zum Besten gaben. Sozialwissenschaftler kamen selten zu Wort. Dabei hätten doch Psychologen oder Soziologen einiges Wichtiges dazu zu sagen gehabt, wie die getroffenen Maßnahmen bei den Menschen ankamen. Und Widersprüchlicheres als die „exakten“ Naturwissenschaften hätte die auch nicht zu Tage gefördert.
Die Sache sei gar nicht so schlimm, hieß es da ebenso, wie dass hier eine neue mittelalterlichen Pest drohe. Kinder seien richtige Superspreader, nein sie verbreitern das Virus nicht mehr als Erwachsene, nein ganz im Gegenteil, sogar weniger. Durch Schmierinfektion könne man sich kaum anstecken, nur durch Tröpfcheninfektion, nein auch Einkaufswagen müssen desinfiziert sein. Die Maskenpflicht sei dringend nötig, nein das bringe gar nichts, ganz im Gegenteil das Berühren des möglicherweise kontaminierten Mundschutzes sei viel gefährlicher. Der Höhepunkt ist bereits vorbei, nein er kommt erst. Es werde sicher eine zweite Welle geben, nein das sei gar nicht gesagt und wenn, dann sicher nicht so dramatisch wie die erste. „Testen, testen, testen“ hieß es anfangs, nein eine Herdenimmunität sei ohnedies nicht erreichbar, dann später.
Ein kaum überbietbarer Höhepunkt wissenschaftlicher Desinformation fand dann am Montag, den 30. März statt. Schon zeitig am Morgen berichteten die Medien von einer Expertise eines hauptsächlich aus Mathematikern bestehenden Wissenschaftlergremiums im Dienste der Regierung, das sich ausdrücklich auf die Unterstützung der Rektoren der Uni Wien Heinz Enigl und der MedUni Wien Markus Müller berief. Inhalt der Expertise: Bei realistischer Annahme eines Replikationsfaktors von 1,7 werde das System Mitte April zusammenbrechen. Es sei mit zehntausenden zusätzlichen Toten zu rechnen. Nur wesentlich verschärfte Maßnahmen wie die Reduzierung des Einkaufens in den Supermärkten und die Einrichtung eines Versorgungsdienstes für Risikogruppen könnten das vermeiden. Bemerkenswert war dabei, dass die Zahl der täglichen Neuerkrankungen nach einem Höchststand von 1001 am 27. März zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Expertise und in den folgenden Tagen stetig abnahm, und zwar noch bevor weitere Maßnahmen gesetzt worden wären. Irgendwie hat mich das an Meteorologen erinnert, die das Wetter der nächsten Stunden prognostizieren, ohne beim Fenster hinausgeschaut zu haben.
Ich habe unmittelbar nach Erscheinen des Gutachtens in den sozialen Medien die Frage gestellt, worin denn die ausdrücklich erwähnte Unterstützung der Rektoren bestanden haben mag. Wenn man ein Gutachten erstellt, beruft man sich doch dabei nicht ohne Grund auf die Chefs seiner Uni. Eine Antwort habe ich nicht erhalten. Das dürfte aber nicht nur auf die mangelnde Bedeutung meiner Person zurückzuführen sein, sondern auch darauf, dass es eine solche Antwort gar nicht gab. Denn einige Wochen später wird Rektor Markus Müller, in einem Interview in der Sonntag-Krone zu seiner Rolle bei dieser Prophezeiung befragt, angeben, mit dieser Art der Darstellung nicht einverstandenen gewesen zu sein und dies auch gesagt zu haben. Zu spät und auch zu leise, Magnifizenz!
Wie aber konnte es zu all diesem wissenschaftlichen Blendwerk eigentlich kommen? Vor allem ist es der Tatsache zu verdanken, dass man über die Ausbreitung dieses Virus so gut wie nichts wusste, aber keiner dies zuzugeben bereit war. Die einzig glaubwürdige Aussage schien mir die des auch bei uns im Fernsehen auftretenden und oftmals wegen seiner Aussagen kritisierten deutschen „Virologenpapstes“ Christian Drosten zu sein, der laut „Spiegel“ in seinem Podcast sehr gescheit schrieb: „Nichts Genaues weiß man nicht“ und „Daraus muss die Politik jetzt was machen.“.
Dazu kommt eine völlig irrationale Wissenschaftsgläubigkeit, die sich religiöse Dogmatiker für ihren Glauben nur wünschen könnten. Die meisten von uns haben offensichtlich keine Ahnung, was Wissenschaft kann und was sie nicht kann. Und das in einem Land, in dem einer der größten Wissenschaftstheoretiker des 20. Jahrhunderts namens Karl Popper geboren worden ist, der uns gelehrt hat, dass sich wissenschaftliche Erkenntnisse erst in der Praxis bewähren müssten – oder eben auch nicht . Unsere Maturanten und Maturantinnen müssen zwar heutzutage eine „vorwissenschaftliche Arbeit“ verfassen, aber – wie mir mein ältester Enkel und Maturant des heurigen Jahrganges bestätigte – mit dem Unterricht in Wissenschaftstheorie schaut es eher traurig aus. Der kritische Rationalismus Poppers scheint nicht zum allgemeinen Bildungsgut zu gehören.
Unsere Bundesregierung hat jedenfalls noch am gleichen Tag, dem 30. März, in einer Pressekonferenz mit diesem „Gutachten“ gewachelt, das dann angeblich am 31. März in der Fassung des Vortages gar nicht mehr aufzufinden gewesen sein soll. Man hat die Menschen damit zwar noch mehr in Angst und Schrecken versetzt, es dann aber doch bei der Einführung einer Maskenpflicht für die Lebensmittelmärkte und andere offene Geschäfte bewenden lassen und diese erst am Mittwoch , den 1. April in Kraft gesetzt, um den Märkten Gelegenheit zu geben, sich mit entsprechenden Utensilien einzudecken. Die tägliche Neuerkrankungsrate war schon vorher auf 500 gesunken und hat diesen Wert in den künftigen Wochen nie mehr erreicht.
Damit hat sich als eine der wenigen erfreulichen Begleiterscheinungen dieser Pandemie die landläufige Meinung eindrucksvoll als Unsinn erwiesen, man müsse nur in der Politik viel mehr die Experten heranlassen, dann wäre alles besser.
Denn das „Gutachten“ vom 30. März hätte mit seiner Prognose von bis zu hunderttausend Toten leicht zu einem Schlechtachten für Mensch und Wirtschaft werden können, wenn die Regierung weniger besonnen darauf reagiert hätte. Politik erfordert eben eine ganzheitliche Sicht der Dinge und die beruht nicht nur auf einem mathematischen Modell sondern beispielsweise auch auf der Prognose menschlichen Denkens und Fühlens.
Wie problematisch gerade in Katastrophensituationen einseitige Überzeugungen sein können, haben wir in diesen März- und Apriltagen eindrucksvoll erleben müssen. Besonders in den sozialen Medien machte sich die Tendenz breit, die eigene Meinung als absolut zu setzen und jede andere zu verdammen. Wie beim Fußball jeder Sportplatzbesucher ein Experte für die richtige Aufstellung und die beste Taktik zu sein meint, sah ich mich im Netz von lauter Virologen umgeben. Der Kabarettist Lukas Resetarits hat in einem ZIB-Interview, von dem später noch die Rede sein wird, zu Recht die Vermutung geäußert, dass es derzeit in Österreich mehr Virologen und Epidemiologen gebe als an COVID 19 Erkrankte.
Was ich da jeden Tag etwa in Facebook erleben musste, war allerdings weniger zum Schmunzeln als zum Fürchten. Mit voller Namensnennung und bisweilen sogar noch unter Berufung auf eigene Fachkompetenz wurde von sonst als durchwegs intelligent bekannten Mitmenschen jedwede gegenteilige Ansicht auf übelste Art niedergemacht. Der Vorwurf der Lächerlichkeit oder Dummheit war noch das Harmloseste. Von „Untermenschen“ oder „Maulhalten“ war da die Rede, wenn jemand Meinungen der Experten oder Maßnahmen der Regierung in Zweifel zog. Ich habe leider oft Worte vernommen, von denen ich geglaubt hätte, sie nur mehr aus dem Mund von Schauspielern hören zu können, die in Nazifilmen SS-Männer darzustellen haben.
Eine sonst recht gebildet auftretende Dame hat im Internet verkündet, es sei doch schon von Verfassungs wegen festgelegt, dass Gesundheit wichtiger sei als Freiheit. Ist es eben nicht, liebe Dame, und wäre überdies eine Missachtung all jener, die in Vergangenheit und Gegenwart für die Freiheit nicht nur ihre Gesundheit sondern sogar ihr Leben gelassen haben. Womit keineswegs die zur Abwehr der Pandemie gesetzten freiheitsbeschränkenden Maßnahmen als diktatorisch bezeichnet werden sollen. Aber gerade in Krisenzeiten sollten uns auch nur verbale Radikalismen zu denken geben. Wer in Panik einer religiösen, politischen oder wissenschaftlichen Führergestalt nachläuft und alles niedertritt, was sich ihm entgegenstellt, merkt oft zu spät, dass sich der rettende Ausgang nicht dort eröffnet, wo ihm dies von seinen Vorbildern verheißen wurde. Die Eltern der heutigen Großelterngeneration haben das noch selbst erlebt, die heutigen Generationen können nicht auf solche Selbsterfahrungen zurückgreifen und müssen es daher selbst erlernen.
Leider war die Verunglimpfung anders Denkender nicht die einzige Charakterschwäche, die sich in dieser Zeit als weiteres Virus geoffenbart hat, das in manchen Zeitgenossen steckt. Das Bemühen der Regierung, die wirtschaftlichen und sozialen Folgekatastrophen der Pandemie möglichst gering zu halten, wurde ihr oftmals schlecht bedankt. So wurden allein aus meinem Bekanntenkreis glaubwürdig eine Reihe von Fällen berichtet, in denen Unternehmer und Freiberufler die Möglichkeit staatlicher Kurzarbeit und die damit verbundene beträchtliche Subvention in Anspruch nahmen und ihre Angestellten trotzdem (mit geringerem Lohn) voll arbeiten ließen. Unter ihnen Ärzte, Anwälte, Ziviltechniker und was weiß ich, was noch für geistige Eliten, die sonst in ihrer hochnäsigen Präpotenz über die moralische Verkommenheit sehr einfacher Menschen die Nase rümpfen.
Und dann waren da noch die so genannten „Blockwarte“, jene seltsamen Zeitgenossen, die andere wegen vermeintlicher Übertretungen der Coronavorschriften angezeigt haben. Gewiss gehört es zur Bürgerpflicht, kriminelle Taten, wie Einbrüche, Gewaltdelikte oder sexuelle Missbräuche zur Anzeige zu bringen. Geschieht aber oft nicht aus Angst. Wenn es aber darum geht, reine Verwaltungsübertretungen, von denen man selbst gar nicht betroffen ist, der Behörde zu melden, zeigen manche überraschend viel Mut. Solche Verpetzungen sollten ad acta gelegt werden dürfen. Wir haben eine Sicherheitswache, eine Finanz- und eine Verkehrspolizei, Marktämter und Arbeitsinspektoren und dutzende andere, die über die Einhaltung der Gesetze wachen. Wir brauchen keine Privatsheriffs, die ihren augenblicklichen Ärger oder ihre allgemein eher miesen Charaktereigenschaften durch die Beschäftigung der Behörden auf Steuerzahlerkosten ausleben. Sollte der Staat in seinem Allmachtsanspruch jedoch glauben, auch solchen Eingaben nachgehen zu müssen, dann sollte man den Anzeigern eine Kaution abverlangen, die sie nur dann zurückerhalten, wenn tatsächlich ein Straftatbestand festgestellt wird. Denn oftmals steht hier Aussage gegen Aussage, es müssen Zeugen gehört werden und das Verfahren dauert nicht selten monate- oder sogar jahrelang und die zu verhängende Strafe steht in keinem vernünftigen Verhältnis zum geleisteten Arbeitsaufwand.
Es war gewiss nicht leicht, in diesen Tagen zwischen Furcht und Leichtsinnigkeit oder auch zwischen Regierungsanhängern und Regierungsgegnern das rechte Maß zu finden. So mag nicht alles superb gewesen sein, was unsere ‚Regierung in der Krise getan hat, deshalb aber auch keineswegs alles schlecht. Und man merkte, dass auch die Opposition das kolumbische Ei nicht erfunden hat. Auch dort war zu beobachten, dass eine Fachfrau an der Spitze noch keinen politischen Frühling macht. Nach anfänglicher Schockstarre hat man recht rasch in den gut geübten Oppositionsmodus zurückgefunden. Einmal waren die Maßnahmen der Regierung zu streng, kurz darauf wieder unverantwortlich locker und im Übrigen galt das oppositionelle Credo jedweder Couleur, dass die Belastungen der Menschen zu hoch, die Begünstigungen hingegen zu gering seien und im Übrigen weniger, gleichzeitig aber auch mehr ausgegeben werden müsse. Die Coronaepidemie hat zwar vieles verändert, die üblichen parteipolitischen Spielchen vermochte das Virus aber nicht anzugreifen. Beispiele gefällig?
Beispiel1:
Die strengen Ausgehbeschränkungen waren vor allem für Eltern mit kleinen Kindern eine besondere Herausforderung. Vor allem für die, welche nicht am Lande zu Hause sind oder in Wien „in Villen leben“, wie sich der Wiener Stadtrat Peter Hacker auszudrücken beliebte. Den meisten Menschen in Wien , außer natürlich jenen, die grundsätzlich jede Maßnahme bejubeln, wenn sie nur von der eigenen Partei kommt, schien es daher unverständlich, dass man ausgerechnet großflächige Parkanlagen des Bundes wie Schönbrunn, Augarten oder das Belvedere bis 14. April fest verschlossen hielt. Daran vermochten auch heftige Proteste der Stadt Wien nichts zu ändern. Offenbar wegen des Grundsatzes „Mir lassen sich von denen nix dreinreden“. Dumm an der Sache war nur, dass die Grünen derzeit sowohl in Wien wie auch auf Bundesebene an der Regierung beteiligt sind und sich daher in einer Art Nestroyscher Zerrissenheit befanden.
Der Konflikt wurde kreativ gelöst. Anfang April wurde im Nationalrat ein neuer Absatz (§ 76/11) in die Straßenverkehrsordnung eingefügt, der es ermöglicht, „wenn es auf Grund von Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID 19 erforderlich ist“, den Fußgängern die Benutzung der gesamten Fahrbahn einer Gasse zu erlauben. Fahrbahn- statt Grünanlagenbenützung also.
Und so stand ich im April beim Besuch meiner Risiko-Cousine ergriffen vor einer Verkehrstafel, die die Graf-Starhemberggasse in Wien Wieden als neue coronabedingte „Begegnungszone“ auswies. Für die, die Gegend nicht kennen: Es handelt sich um eine Seitengasse mit Einbahnregelung, zwei Häuserzeilen, davor je ein Gehsteig, je eine Parkspur und in der Mitte eine Fahrspur; keine Läden, ein paar Werkstätten, sonst Wohnhäuser. Kein vernunftbegabter Zeitgenosse käme auf die Idee, zwecks Befriedigung seines Corona-bedingten Dranges zum Luftschnappen dort ausgerechnet auf der Fahrbahn zu wallen. Eine sinnlose Sache? Nein, sondern die elegante Art, einen – allerdings wirklich sinnbefreiten – interkoalitionären Konflikt zu lösen.
Beispiel 2:
Die Regierungsparteien bringen einen Monat nach dem „lock-down“ im Parlament mit dem inzwischen schon 16. Covid19-Gesetz einen Initiativantrag zur Änderung des Epidemiegesetzes ein, der es den Behörden möglich macht, zur Seuchenbekämpfung „Personen- oder Berufsgruppen“ von Veranstaltungen auszuschließen, wenn größere Menschenmengen zusammenkommen. Das hätte bedeutet, dass die Behörden ohne weiteres Zutun der Volksvertretung zum Beispiel älteren Leuten, aber auch anderen Personengruppen, etwa allen, die keine „Corona-App“ nutzen, die Teilnahme an Veranstaltungen verbieten können. Die Empörung über eine solche, nicht einmal befristete und höchstwahrscheinlich grundrechtswidrige Freiheitseinschränkung war – nicht nur bei der Opposition – enorm und es war bald klar, dass das nicht zu halten sein wird. Dennoch haben die Regierungsparteien am 23. April im parlamentarischen Ausschuss die Vorlage durchgewinkt, womit sich die Frage stellt, wozu das Parlament eigentlich Ausschusssitzungen abhält, wenn man dort nicht bereit ist, sich mit ernsthaften Bedenken auseinanderzusetzen.
Erst bei der Plenarsitzung am 28. April, also sozusagen auf den letzten Drücker hat man dann die Vorlage dahingehend geändert, dass Alter, Geschlecht, Religion, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder der Nichtbesitz einer App kein Grund für die Aussperrung von Veranstaltungen sein dürfen.
Und die Opposition von SP und FP? Haben sie ein Triumphgeheul angestimmt, den Mehrheitsparteien mit öffentlicher Unterstützung ein bedenkliches Gesetzesvorhaben vermasselt zu haben? Nein, sie haben, weil nicht alle ihre Vorstellungen berücksichtigt wurden, das Ganze auch noch im Bundesrat beeinsprucht und damit verzögert.
Beispiel 3:
Im Zuge der vielen Verordnungen wegen der Coronaseuche wurde bald klar, dass insbesondere das Gesundheitsministerium damit ge- um nicht zu sagen überfordert ist. Ich habe mit einem meiner Schwiegersöhne, der beruflich damit zu tun hat, jedes Mal gewettet, wer als Erster die verbindliche Kundmachung der nächsten Lockerungsverordnung findet. Meist wurden wir erst zwei Stunden vor Mitternacht des Inkrafttretenstages fündig. Gewiss, die Maßnahme war schon Tage vorher in den Medien angekündigt worden. Aber betroffene Unternehmen sind halt schon darauf angewiesen, nicht nur im Fernsehen zu erfahren, was nun genau noch verboten oder schon wieder erlaubt ist.
Österreichs Regierung hatte immer schon einen „Verfassungsdienst“, eine Gruppe hochqualifizierter Juristen, aus denen einige Höchstgerichtspräsidenten hervorgegangen sind. Dieser war immer im Bundeskanzleramt angesiedelt – außer während der türkis-blauen Regierung, wo man den Dienst aus sachlich kaum nachvollziehbaren Gründen ins Justizministerium verräumt hatte. Journalistenfragen, ob man diesen Dienst in der Krise nicht rechtzeitig für rechtlich haltbare Normen heranziehen könnte, beantwortete die für den Verfassungsdienst zuständige Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) zunächst schmallippig mit dem Hinweis , dass für die Erstellung dieser Verordnungen eben der Gesundheitsminister (Grüne) zuständig sei. Mit anderen Worten: Wir können in einer Krise leichter in die Grundrechte eingreifen und die Verfassung ändern, als die ministerielle Kompetenzverteilung rechtzeitig adaptieren. In den Ländern gibt es für solche Zwecke ein „Amt der Landesregierung“, das allen politischen Ressorts zur Verfügung steht, beim Bund leider nicht. .
Eine Woche nach dem apokalyptischen Szenario der wissenschaftlichen Untergangspropheten vom 30. März betrug die Zahl der Neuinfizierten nie mehr als 300 pro Tag und die Zahl der an Corona Erkrankten hat nach einer Höchstzahl von 9193 Personen am 3. April merklich zu sinken begonnen, dennoch fürchtete die Regierung weiteres Ungemach. Denn es nahten, beginnend mit 5. April, die für Christen „Heiligen Tage“ der Karwoche, die vom Bundeskanzler ebenso hartnäckig wie unrichtig als „Osterwoche“ bezeichnet wurde. Man darf ihm das freilich nicht übelnehmen. Denn während man in Google unter „Pessachfest 2020“ auf Anhieb die Zeit vom 8..4. bis 16.4. fand und unter „Ramadan 2020“ den Zeitraum vom 23.4. bis 23.5., führte die Frage nach der „Osterwoche 2020“ zu keinem Ergebnis. Selbst auf der Webseite der Erzdiözese Wien findet sich unter dem Stichwort „Osterwoche 2020“ nur eine Aufzählung der Festtage vom Aschermittwoch bis zum Fronleichnamsfest. Wie soll da noch jemand wissen, dass unter „Osterwoche“ nach dem katholischen Liturgiekalender die mit dem Ostersonntag beginnende erste Woche der österlichen Zeit zu verstehen ist.
Egal, der staatlichen Obrigkeit ging es nicht um den religiösen Charakter dieser Feste. Wenn der Osterspaziergang schon verordnungsbedingt ausfallen musste und auch die beliebten Kurzurlaube in fernen Ländern, fürchtete man umso mehr, dass sich Familienmitglieder und Freunde, die „nicht im gemeinsamen Haushalt leben“, zwecks Ostereiersuchen oder Osterschinkenessen gefährlich durchmischen könnten. Man wolle keine Corona-Partys, auch nicht mit Ostereiern, ließ sich der Gesundheitsminister vernehmen, in Verkennung der Tatsache, dass einerseits fromme Christen nicht unbedingt zu den Partytigern zählen und andererseits Eier nicht die beliebteste Partynahrung darstellen.
Jedenfalls kam es so zu dem berühmten Osterlass des Gesundheitsministeriums. Die Behörden wurden angewiesen, dafür zu sorgen, dass sich nicht mehr als fünf Menschen – außer den im gemeinsamen Haushalt Lebenden – zu einem Besuch einfinden.
Bei der Bekanntgabe dieses Erlasses hat es manchen Fachleuten zunächst die Red verschlagen und auch mir wurde da erstmals ein wenig seltsam zumute. Wollte man wirklich Polizeibeamte in Häuser oder Wohnungen schicken, um dort Nachschau zu halten, ob sich nicht mehr als fünf, nicht zum Haushalt gehörende Menschen dort aufhalten? Für mich war klar: Sollten bei uns zu Hause – ob aus Eigenem oder dank Hinweis eines netten Nachbarn – aus diesem Grund Polizisten auftauchen, würde ich sie freundlich aber bestimmt von der Schwelle weisen. Und dann vielleicht die „Heiligen Tage“ in Polizeigewahrsam verbringen. Später „wenn alles vorbei“ ist, würde mir dann ein Gericht bestätigen, dass es sich um eine verfassungswidrige Amtshandlung gehandelt habe. Schon weil jeder Jus-Student am Anfang des öffentlich-rechtlich Teiles seines Studiums erfährt, dass durch Erlässe nicht in Bürgerrechte eingegriffen werden darf.
Am 4. April gab es dazu wieder einmal ein ZiB-Spezial, für das sich allerdings kein Politiker fand, sondern zu dem stattdessen ein hoher Beamter des Ministeriums antanzen musste. Dieser wurde von Armin Wolf „spitzfindig“ gefragt, wie überhaupt Personen zu Besuch kommen könnten, da dies doch nur zur Versorgung von Risikopersonen möglich sei. Der Interviewte wusste mit einer Mir-wissen-eh-dass –des-so- net geht-Miene nur zu sagen, dass man den Erlass am Montag wieder ändern werde. Tatsächlich war dieser Ostererlass am Montag, den 6. April sang- und klanglos verschwunden, soll aber – wie mir erzählt wurde – von einigen Behörden bereits an die Polizei weitergegeben worden sein. Hoffentlich ohne gröbere Kalamitäten.
Sehr viel später, nämlich im Juni eröffnete uns der Gesundheitsminister im samstäglichen „Im Journal zu Gast“ von Ö1, nächtlicherweise zum Entschluss gekommen zu sein, dass der Staat im privaten Bereich, in den eigenen vier Wänden nichts verloren habe. Das stimmt zwar auch nicht ganz, denn im Lande der Fälle Kampusch oder Fritzl sollte der Staat sehr wohl darauf achten, was sich. innerhalb der eigenen vier Wände der Leute tut. So war es aber wohl auch nicht gemeint. Doch dieses Bekenntnis eines Ministers zeigt, wie schwierig der Pfad zwischen kollektiven Erfordernissen und individueller Freiheit zu finden sein kann, wenn´s wirklich ernst ist. Von ministeriellen Grübeleien in schlaflosen Nächten sollte das Ergebnis aber nicht abhängen.
Jedenfalls verlief Ostern weitgehend ungestört und die Zahl der Erkrankten ist – ganz ohne Ostererlass – in den folgenden vierzehn Tagen auf etwa ein Drittel gesunken. Aber wie ging es eigentlich den Religionen mit Ostern, Pessachfest oder Ramadan in dieser Zeit? Ich kann hier natürlich nur über meine eigene Kirche, die christlich- katholische reden, vermute aber, dass sich Vieles in den großen Religionen ziemlich ähnlich verhält.
Selten oder vielleicht noch nie seit den fernen Kriegstagen sahen sich die Menschen bei uns derart bedroht, wie angesichts dieser Seuche. Gewiss, es gab auch in den letzten Jahrzehnten schlimme Ereignisse. Aber die haben alle entweder an unseren Grenzen haltgemacht, wie kriegerische Auseinandersetzungen, waren als Wirtschaftseinbrüche in ihrer Zeitdauer absehbar, oder wie Naturkatastrophen mit den üblichen Mitteln in den Griff zu kriegen. Als fußballbegeisterter Mensch habe ich diese Pandemie gedanklich mit dem Elfmeterschießen verglichen. Da haben die Spieler gerade noch in der Nachspielzeit mit all ihren letzten Kräften das Siegestor zu erzielen und eine Niederlage abzuwenden gesucht. Nun ist der Schlusspfiff da und sie können nichts mehr tun. Sie haben sich, dem Reglement entsprechend, im Mittelkreis des Spielfeldes versammelt und halten sich an den Händen. Sie können nur bangen, hoffen und vielleicht auch beten, dass ihre ausgewählten Schützen treffen oder ihr Tormann einen Schuss abwehrt.
So ähnlich geht es unserer Gesellschaft in dieser Pandemie. Man kann nichts tun, außer zu hoffen, dass unsere Führung die richtigen Maßnahmen treffen und das Ärgste verhindern werde. Die augenblickliche Zustimmung zur Regierung schoss daher laut Meinungsumfragen vorübergehend in die Höhe und das Zusammengehörigkeitsgefühl wuchs, auch wenn es sich nicht nur positiv in Einkäufen für alte und kranke Mitmenschen sondern leider auch negativ in zunehmendem Nationalismus äußerte.
Gottvertrauen oder Resilienz, wie das in der säkularisierten Moderne heißt, war angezeigt in diesen Wochen. Eine solche Grenzsituation müsste eigentlich Hochkonjunktur bedeuten für Religionen, die den Blick mehr auf das Himmlische als auf das Irdische zu richten pflegen. „Der Glaube muss weitergegeben werden – nicht um zu überzeugen, sondern um einen Schatz anzubieten“ so Papst Franziskus. Hat die Kirche dieses Zeitfenster genutzt, um den durch Corona verstörten Menschen die Schatzkiste überirdischer Tröstungen zu öffnen?
Gewiss manche Priester haben viel unternommen, um in ihrem Bereich Seelennöte zu lindern. Aber es gab auch solche, die unumwunden eingestanden, sich jetzt endlich einmal in Ruhe der Pfarrchronik und der Bibliothek widmen zu können. (Ähnlich einigen Staatsmuseen, die am liebsten gleich bis September zugesperrt hätten, um Renovierungsarbeiten ungestört durchführen zu können, was ihnen dann allerdings von der politischen Führung untersagt wurde).
Der Papst hatte zu einem „Gebetssturm“ aufgerufen, hierzulande war der bestenfalls als Zugluft wahrzunehmen. Zu Pfingsten gab es zwar ein durchaus kluges und sehr politisches Hirtenwort der Bischöfe aus diesem Anlass, das manch kritische Botschaft verkündete. Und auch mit der Lehre von der „Strafe Gottes“ aufräumte sowie mit der von konservativen Katholiken geäußerten Vermutung einer Weltverschwörung. So ein Hirtenwort richtet sich aber zweifellos mehr an den Verstand der Menschen und wurde wahrscheinlich nur von Wenigen überhaupt wahrgenommen. Botschaften an die Allgemeinheit müssen jedoch auch das Gefühl ansprechen und dabei treffend, gut verständlich, und vor allem nachhaltig sein, wie die bis zum Erbrechen wiederholten Werbeansagen „unserer“ Bundesregierung und des Roten Kreuzes.
Die Zeit mittelalterlicher Bittprozessionen gegen die Pest entspricht nicht unserer vernunftgesteuerten Welt. Aber wie sehr dennoch diese Pandemie die Gefühle der Menschen herausgefordert hat, zeigte sich etwa daran, wie oft mir Leute erzählt haben, zu Tränen gerührt worden zu sein, angesichts der Bilder von dem einsam betend über den regennassen Petersplatz schreitenden Papst..
Nicht, dass ich mir deshalb gewünscht hätte, dass auch der Wiener Erzbischof seine Runden um den Wiener Stephansplatz zieht, aber etwa ein Glockengeläut aller Kirchen, täglich zu einer sonst unüblichen Zeit (vielleicht täglich um 15 Uhr) mit einer über die Medien übermittelten Botschaft, in diesen Minuten derer zu gedenken und für die zu beten, die erkrankt oder gestorben sind, deren wirtschaftliche Existenz auf dem Spiel steht, die in diesen Tagen noch einsamer waren als sonst , aber auch für die, welche sich schlicht nur fürchten, das wäre schon was gewesen.
Gerade das heurige Fronleichnamsfest hätte sich dazu geeignet, in aller Öffentlichkeit zu zeigen, dass Religion für die an der Krise Verzweifelnden ein Angebot hätte, das ihnen die politischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Autoritäten nicht bieten können. Man hätte ja nicht laut singend und Instrumente blasend durch die Straßen ziehen müssen, denn entgegen der von der Amtskirche geäußerten Behauptung ist ein „gemeinsames Schreiten ohne Musik“ durchaus möglich. Schon mal was von Schweigemärschen gehört? .Ein solcher – mit vielen Babyelefanten dazwischen – wäre vielleicht sogar besonders eindrucksvoll gewesen. Stattdessen war vorgeschrieben, Fronleichnam, wenn schon außerhalb der Kirchenmauern, dann nur „in schlichter Form“, nur in der Anzahl „der üblichen Gottesdienstgemeinde“ (also mit wenigen), nur „bei günstigem Wetter“ usw abzuhalten. „Nur net auffallen“ schien die Devise zu sein. Nicht nur ich hatte den Eindruck, dass die Kirche diese große Chance zu einer Mission im positiven Sinn versemmelt hat.
Stattdessen herrschte „business as usual“ Man schien vor allem darum besorgt, den noch verbliebenen Stammkunden irgendwie das gewohnte Brauchtum zu ersetzen. Internetgottesdienste wurden geboten, oft auf Initiative einzelner Pfarrer, die sich teilweise sogar in ihren Räumen ein Studio für ihre Livestream-Messen aufbauten. Im menschenleeren Stephansdom zelebrierte der Wiener Erzbischof die Kar- und Osterliturgien, welche vom Staatsfernsehen übertragen wurden. Vielleicht ein Anlass zum Nachdenken für die Privatisierungsfanatiker, die gerne gegen ORF-Gebühren polemisieren: Ein Kommerzfernsehen hätte katholische Gottesdienste nicht übertragen oder wenn, dann wohl nur mit Werbeeinschaltungen vor Wandlung und Kommunion.
Ein Angebot für Alleinstehende war das gewiss. Ich selbst weiß mir mit Fernseh- und Internetgottesdiensten nicht allzu viel anzufangen. Der Unterschied zwischen einer Feier der Eucharistie in der Kirche und deren elektronischer Betrachtung ist für mich – man verzeihe den blasphemischen Vergleich – so groß wie der zwischen einer Liebesumarmung und deren Betrachtung in einem Film. Unsere Quarantänefamilie hat am Karsamstag jedenfalls darauf verzichtet, im Halbkreis vor dem Fernseher oder – noch schlimmer – jeder in einer Ecke mit Laptop oder Smartphone dem Kardinal oder einem Pfarrer beim Feiern der Osternacht zuzuschauen. Wir haben Kerzen entzündet, gemeinsam zwei, drei Lesungen gelesen, zwei, drei Gebete gesprochen ein Auferstehungslied gesungen und dann ein festliches Mahl eingenommen. Das Ganze hatte überdies den Vorteil, dass auch die Kleinen dieses Mal in die größte Feier unserer Religion voll eingebunden waren. Was vielleicht auch künftig zur Überlegung Anlass geben könnte, die Osterliturgie familienfreundlicher zu gestalten. Im Judentum gibt es bekanntlich die formalisierten Fragen der Jüngsten beim Pessach-Mahl, in meiner Jugend gab es noch Prozessionen am Karsamstag nachmittags, aber das war noch in der „vorkonziliaren“ Zeit.
Die Kirchen blieben jedenfalls zu Ostern fest verschlossen.
Zehn Tage nach Ostern war es dann aber so weit. Die Kultusministerin und der für alle 16 anerkannten Glaubensgemeinschaften sprechende Kardinal gaben in einer Pressekonferenz bekannt, unter welchen Voraussetzungen ab Mitte Mai (aktive Fälle ca 1000, tägliche. Neuinfektionen ca 100 und somit 2/3 so viel wie dann wieder Ende Juli) wieder Gottesdienst möglich sein sollten. Die Ministerin hat es in ihrem kurzen Einleitungsstatement zuwege gebracht, gezählte fünfzehnmal das Wort „gemeinsam“ zu verwenden. Für ein Regierungsmitglied, das ja auch für Integration zuständig ist, durchaus erfreulich, aber auch ein Zeichen dafür, dass man sich seitens der Regierung bewusst war, auf welch schwierigem Terrain man sich befand. Denn die Menschenrechtskonvention kennt .das Recht jeder Einzelperson (also nicht nur ihrer anerkannten Religionsgemeinschaft als Ganzes) auf öffentliche Ausübung des Glaubens. Einschränkungen dürfen nur durch Gesetz erfolgen. Die Ministerin verkündete deshalb auch vorsorglich, dass man bei der Einhaltung des Abkommens auf die Glaubensgemeinschaften vertraue. Vorher war allerdings, wie mir bekannt wurde, schon ein Priester auf Anzeige eines „netten“ Zeitgenossen ziemlich hoch bestraft worden, weil er einigen Personen die Teilnahme an einer Messe erlaubt hatte. Sicher eine grundrechtswidrige Bestrafung. .
Dennoch fanden sich in der Übereinkunft zwischen Kirche und Staat merkwürdige Regelungen wie etwa eine jedem und jeder Gläubigen in der Kirche beim Gottesdienst einzuräumende Fläche von 20 m2. Bei solchem individuellen Platzbedarf in der Größe eines Gemüsegartens hätten in manchen Kirchen höchstens die Pfarrgemeinderäte der Messe beiwohnen können. Der Kardinal bezifferte in der erwähnten Pressekonferenz die im Hohen Dom zu St. Stephan unterzubringenden Seelen mit 120. Das ist dann zwar auf 10 m2 pro Person reduziert worden, aber warum nicht gleich?
Weil sich zumindest das Christentum an dem Wort seines Apostels Paulus orientiert, dass man der Obrigkeit zu gehorchen habe, weil sie von Gott gesandt sei? Allerdings hat sich auch ein durchaus nicht an Minderwertigkeitsgefühlen laborierender Regierungschef wie der unsere noch nie darauf berufen, von Gott gesandt zu sein.
Die katholische Kirche hat dann jedenfalls die Usancen für Gottesdienstbesuche in einer bischöflichen „Rahmenordnung“ festgelegt. Warum das „Rahmenordnung“ hieß, wo doch darin alles penibel festgelegt war und etwa der Abstand der Mitfeiernden zueinander oder der Sidestep beim Konsumieren des heiligen Brotes jeweils exakt in Metermaßen angegeben wurde? Ich konnte mir das nur so erklären, dass man sich diese Anordnung wirklich einrahmen müsste.
Denn in der Tat: Noch am 29..5. (tägl. Neuinfektionen ca 30, Erkrankte ca 600) lag eine Fassung dieser Rahmenordnung vor, wonach bei Tauffeiern nur der Priester und die Eltern dem Täufling ein Kreuzzeichen machen und nur die Eltern das Kind tragen dürfen. Meine jüngste Enkeltochter, zu diesem Zeitpunkt sechs Monate alt und coronabedingt noch nicht getauft, wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit von ihren zahlreichen Onkeln und Tanten, Cousins und Cousinen geherzt und geküsst. Aber bei der Taufe in der Kirche sollen sie nur die Eltern und demnach nicht einmal die Taufpatin berühren dürfen. „Geht´s noch?“ habe ich mich da gefragt und diese Frage – sehr höflich – an das Sekretariat der Bischofskonferenz gerichtet. Eine Antwort bekam ich vom „Liturgieinstitut“, welches immerhin einräumte, dass man diesen Passus wohl in der jüngsten Neufassung wegzulassen vergessen habe. Man hätte ihn nie hineinschrieben dürfen, wenn man Christen gemäß der Lehre ihres Schöpfers als vernunftbegabte Individuen betrachtet. .
Für mich blieb da die Frage, offen, ob die Bischöfe eigentlich wissen, was da so in ihrem Namen verlautbart wird. Denn wenn man von den Corona-regeln einmal absieht: Bürokratische, überschießende Regulierungstendenzen in der Kirche, die dem vom derzeitigen Papst immer wieder betonten „differenzierten Blick auf unterschiedliche Situationen“ widersprechen, untergraben die Autorität der Kirche auch in den viel wichtigeren Fragen der Moral.
Allgemein schien zur Zeit dieser Pandemie die Überlegung vorzuherrschen, dass man immer dann auf der sicheren Seite sei, wenn man seine Organisation oder sein Geschäft am besten gar nicht oder nur unter ganz einschränkenden Bedingungen öffnet. Was aber nur geht, wenn man sich das wirtschaftlich leisten kann. Die Regierung konnte das auf die Dauer nicht und musste daher zu Lockerungen schreiten, die freilich nicht nur von der Infektionsgefahr sondern auch von den zu erwartenden Bedürfnissen der Menschen bestimmt waren. Da wir schon seit Mundl Sackbauer wissen, dass „bei uns jeder a Heimwerkerprofi is“, aber gewiss nicht jeder religiös oder kunstsinnig, wurden Bau und Gartenmärkte bei der Öffnung der Geschäfte besonders bevorzugt, während Kirchen und Kunsttempel noch geschlossen blieben.
Lukas Resetarits hat dies mit der Treffsicherheit des guten Kabarettisten in dem schon erwähnten, wohl legendären TV-Interview bei Armin Wolf am 12. Mai auf den Punkt gebracht, wenn er meinte, er könne ja statt auf der Bühne notfalls auch in der Wärmekabine eines Baumarktes auftreten. Auf die Frage, ob er den Rücktritt der Kunststaatssekretärin fordere, meinte er hingegen: „Es is scho wurscht, sagat i jetzt fast“. Tatsächlich ist diese dann drei Tage später vom Amt zurückgetreten. Ein Bauernopfer für die Zurechtstutzung der Pyramide individueller menschlicher Bedürfnisse auf das vermeintlich Allgemeine.
Dass es auch anders geht, zeigte als eine der Wenigen beispielsweise die Salzburger Festspielpräsidentin Rabl-Stadler. Sie fragte nicht, wie es am einfachsten ist, der Seuche zu entkommen, indem man nämlich möglichst nichts tut, sondern wie Festspiele trotz aller notwendigen Vorsichtsmaßnahmen doch stattfinden könnten.
Nach Ostern trat dann Mitte April die erste „Lockerungsverordnung“ in Kraft. Jetzt durften auch andere Geschäfte als die Lebensmittelmärkte wieder aufsperren. Allerdings keine Einkaufszentren und überhaupt keine Geschäfte mit über 400m2 Verkaufsfläche, außer Bau- und Gartenmärkten. Dass ausgerechnet nur die ausgenommen waren, wollte den Möbelhändlern zum Beispiel nicht recht schmecken. Sie kündigten eine Verfassungsklage an. Die Wirtschaftsministerin riet ihnen ab, deswegen die Anwälte zu beschäftigen. Obwohl sie dies gewiss nicht aus Misstrauen gegen den Anwaltstand gesagt hat, sondern eher meinte, dass man lieber brav auf den nächsten, bereits angekündigten Lockerungsschritt warten solle, ist solch ein empfohlener „Rechtsmittelverzicht“ doch eher problematisch. Die Möbelhändler haben sich auch nicht davon abbringen lassen und beim Höchstgericht recht behalten, wie sich im Juli zeigen wird.
Theater oder sonstige Kunsttempel waren jedenfalls noch lange Zeit bummfest zu.
Doch, mit Josef Weinheber gesprochen:. „War net Österreich, wenn net durt, wo ka Theater is, ans wurdt“
Und so wurden wir in den Maitagen Zuschauer des „Corona-Theaters“ in drei Akten.
Der erste Akt dieser typisch österreichischen Komödie spielte im äußersten Westen des Bundesgebietes in der malerischen Umgebung des .Kleinen Walser-Tales.
Dort ist – wie schon vorher angekündigt – am 13. Mai der Bundeskanzler zu Gast. Nun ist es das gute Recht, wenn nicht sogar die Pflicht eines Bundeskanzlers und Bundesparteiobmannes, sich endlich wieder zu den Bürgern zu begeben, sobald es ihm die Umstände gestatten, die Kommandobrücke des Staatsschiffes kurzfristig zu verlassen. Klar war daher, dass es nicht nur darum ging, nur mit dem Landeshauptmann und den örtlichen Honoratioren zu konferieren. Dafür gibt es heute Videokonferenzen. Ebenso klar war, dass die Klein-Walsertaler und –talerinnen, die seltene Gelegenheit nutzend, „Kanzler schauen“ gehen und versuchen würden, ihm so nahe wie möglich zu kommen. Und ebenso klar war auch, dass sich die Masse der Journalisten und Pressefotografen dieses Ereignis nicht entgehen lassen, sondern darnach trachten würde, die besten Aussagen zu erhaschen und die originellsten Fotos zu schießen. Das war eigentlich alles allen klar. Nur den Organisatoren des Kanzlerausfluges offensichtlich nicht.
Und so kam es, wie es kommen musste. Die aus dem schönen Vorarlberg übertragenen Bilder ließen bei jenen, die den ganzen Tag über mit Masken arbeiten müssen, noch immer nicht ihrer Profession nachgehen dürfen oder um ihre Existenz bangen, das sprichwörtliche Geimpfte aufgehen. Versagt hat nicht der Kanzler, sondern seine oft bewunderte Entourage, was manch einem eine klammheimliche Genugtuung bereitet haben mag. Aber gerade deshalb fiel es ihm wohl auch so schwer, diesen Patzer einzugestehen, der nicht seiner, nicht der der Journalisten und schon gar nicht der Vorarlberger und –innen, sondern der seiner Organisation gewesen ist.
Zwei Monate später, am 15. Juli erfahren wir dann aus einer parlamentarischen Anfragebeantwortung des Innenministers, dass der Besuch des Bundeskanzlers in Vorarlberg in seiner Funktion als „Organ der Vollziehung“ stattgefunden habe und daher weder eine „Versammlung“ noch eine „Veranstaltung“ und somit ganz rechtskonform gewesen sei. Womit die österreichische Hochbürokratie einmal mehr ihrer literarischen Würdigung von Robert Musil über Fritz Herzmanovsky bis Thomas Bernhard gerecht wird.
Zehn Tage später, am 23. Mai, fand dann der zweite Akt des Theaterstückes am anderen Ende des Bundesgebietes vor der Kulisse der Wiener Annagasse statt. Der österreichische Bundespräsident wurde dort nach Mitternacht im Schanigarten eines Lokals sitzend von der Polizei erwischt, obwohl doch laut Verordnung Lokale nur bis 23 Uhr geöffnet haben dürfen. Da ein gutes Theaterstück dem Betrachter immer mehrere Interpretationen offen lässt, gibt es auch deren mehrere von dieser Szene. .
Eine davon lieferte der Bundespräsident selbst, indem er erklärte, sich „verplaudert“ zu haben. Wir können hier eine weitere unter den vielen wissenschaftlichen Erkenntnissen der Coronazeit gewinnen, wonach Staatsoberhäupter kein Zeitgefühl haben. Irgendwie verständlich, denn schließlich unterliegen sie einem strengen Terminkalender, den ihre Mitarbeiter verwalten, und müssen nicht eigene Zeitmesser in Anspruch nehmen. . Schon gar nicht in einem Land, wo sich nicht einmal der Finanzminister entsinnt, einen Laptop zu besitzen.
Eine andere Interpretation dieser Szene habe ich mir angesichts des gelegentlich leicht verschmitzt scheinenden Gesichtsausdruckes unseres Staatsoberhauptes selbst. ausgedacht. Was wäre, wenn der Präsident ganz bewusst noch zu Geisterstunde dort gesessen wäre und die Polizeistreife dort hin bestellt hätte, um dem Volk seine Verbundenheit zu zeigen: Leute, auch mir geht das Ganze schön langsam auf den Arsch, .( um es in seiner Diktion aus früheren Zeiten als Bundesobmann der Grünen zu formulieren.), aber es ist halt so.
Dann wäre noch die Frage, ob sich das Staatsoberhaupt überhaupt strafbar gemacht hat. Denn auch mit den elegantesten Verrenkungen, zu denen man als Jurist berufsmäßig befähigt ist, gelingt es kaum, die Strafwürdigkeit des Aufenthaltes in einem Schanigarten um Mitternacht zu konstruieren, wenn es in der damals geltenden Coronaverordnung bloß hieß, dass ein Wirt das Betreten seines Lokals nach 23 Uhr nicht mehr erlauben darf.
Bejaht man aber diese Frage, müsste eigentlich über das mitternächtliche Verweilen des Staatsoberhauptes in der Wiener Annagasse der Nationalrat zusammentreten und entscheiden, ob er bei der Bundesversammlung die Aufhebung der Immunität des Staatsoberhauptes beantragt. Denn auch wenn unser Bundespräsident, was ja in einer gefestigten Republik möglich sein müsste, privat mit dem Auto fährt und falsch parkt, kann man ihn nicht ohne Einverständnis der Bundesversammlung, also des National- plus des Bundesrates belangen. Ob man das nicht mehr als hundert Jahre nach dem letzten Kaiser ändern und von der strafrechtlichen Immunität des Bundespräsidenten jene Bereiche ausnehmen könnte, die offenkundig in keinem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit stehen? .Wie bei Abgeordneten auch.
Auch dieser 2. Akt unseres Corona-Stücks endet mit einer parlamentarischen Anfrage und deren Beantwortung durch den Innenminister und zwar am 29. Juli. Nein, das Staatsoberhaupt ist nicht „in Vollziehung“ im Schanigarten in der Annagasse gesessen. Aber die einschreitende Polizei habe nach dem Grundsatz „Sensibilisierung statt Strafe“ von einer Anzeige Abstand genommen, weil der Bundespräsident sich entschuldigt und sogleich den Tatort verlassen habe.
Eine solche Sensibilisierung hätten sich zahlreiche Bürgerinnen und Bürger gewünscht, die in den Wochen vorher angezeigt und mit hohen Geldstrafen belegt worden sind.
Der 3. Akt unseres Corona- Theaters, das große Finale fand dann am Donnerstag, den 4. Juni in mehreren Landeshauptstädten und allein mit etwa 50.000 Komparsen in der Bundeshauptstadt statt. Ich war an diesem Tag um etwa 17 Uhr nach einem Treffen im Hietzinger Cafe Dommayer zum Karlsplatz unterwegs. Eine Destination, die man grundsätzlich nicht mit dem Auto in Angriff nehmen sollte. Aber ich war mit meiner Frau, die den Nachmittag bei Bekannten in der Innenstadt verbracht hatte, verabredet, um dann sogleich nach Hause ins südliche Niederösterreich zu fahren. Meine Fahrtzeit mit dem PKW betrug vom Margaretengürtel bis zum Karlsplatz etwas mehr als eine Stunde.
Zuerst habe ich mich über mich selbst geärgert, weil mir die an diesem Nachmittag geplante große Demo gegen Polizeigewalt und Rassismus (nach einer tödlichen Polizeiattacke in den USA) entgangen war. Dann über die Polizei, die offenkundig nicht in der Lage oder auch nicht willens war, das Verkehrsgeschehen auch nur einigermaßen in geordnete Bahnen zu lenken. Als mir aber dann die von der Demo heimkehrenden, meist jungen Leute entgegen kamen, teils mit Maske, teils ohne, habe ich mich doch auch gefreut über diesen Idealismus. Bin freilich auch darüber ins Sinnieren gekommen, dass genau eine Woche später Fronleichnam sein wird und für die Ideale dessen, der wie kein anderer für die Würde jedes einzelnen Menschen und gegen jedwede Gewalt gekämpft und dafür sogar sein Leben gelassen hat, heute niemand öffentlich demonstriert.
Vom Abstandhalten und zahlenmäßigen Beschränkungen, die uns alle plagen und noch lang Zeit Künstler und Sportler daran hindern werden, ihr Brot zu verdienen, war bei dieser Massendemo nichts zu merken. Angeblich ahnten weder Veranstalter noch Polizei, dass so viele kommen werden. Auch könne man ja schwer Polzeigewalt ausüben gegen Menschen, die gegen Polizeigewalt demonstrieren, hieß es. Die „normative Kraft des Faktischen“ war wieder einmal stärker als das geschriebene Recht. Bund und Land Wien, Gesundheits- und Sicherheitsbehörden haben sich die Verantwortung für diese Demo in der Folge hin und her geschupft wie den sprichwörtlichen heißen Erdapfel.
Die aus diesem Theaterstück zu ziehende Lehre ist leicht zu begreifen. Wer im öffentlichen Auftrag handelt, wer sich anerkannter Prominenz erfreut oder wer in großer Anzahl unterwegs ist, tut sich im Umgang mit freiheitseinschränkenden Maßnahmen wesentlich leichter als Hinz und Kunz.
Mehr und mehr schien wieder Normalität einzukehren. Überhaupt nachdem -wohlweislich erst nach dem Muttertag am 10. Mai – die Gaststätten wieder öffnen durften. Die täglichen Neuinfektionen lagen bei etwa 30 und auch die noch vorhandenen Beschränkungen wurden gelockert, schließlich fiel weitgehend die Maskenpflicht. Aber auch in dieser Zeit hoffnungsvoller Unsicherheit gab es immer wieder Situationen, die ich als skurril empfunden habe.
Etwa die neuen Begrüßungsformalitäten, bei denen sich die Ängstlichen von den Mutigen und Übermütigen unterscheiden. Ich warte immer, zu welcher Gruppe mein Gegenüber gehören mag. Als Mann tue ich mir da leichter. Habe ich doch noch in meiner Jugend als Benimmregel gelernt, dass man einer Dame nicht seine Hand hinstrecken darf sondern hübsch darauf zu warten habe, ob sie einem die ihre reicht –oder eben nicht. Sonst lässt man es eben bei einem freundlichen Lächeln oder einer kleinen Verbeugung bewenden. Was ich allerdings ablehne, ist das Aneinanderschlagen der Ellbogen. Wer hat eigentlich diese schon aus Ebola-Zeiten stammende Grußform erfunden, die körpersprachlich eher Aggression als Offenheit ausdrückt? Abgesehen davon, dass der Ellbogengruß den immer wieder propagierten Meterabstand viel weniger ermöglicht als eine Handreichung.
Oder wie ich dies kürzlich bei einer Einladung von lieben Freunden erlebt habe. Nach dem Distanzgruß saßen wir dann lange Zeit im angeregten Gespräch beisammen und genossen die dargereichten Brötchen, die von den Gastgebern wohl mit ihren Händen bereitet wurden und versprühten unsere hoffentlich coronafreien Aerosole..
Auch beim Zusammentreffen des Kuratoriums einer Galerie, dem ich angehöre, haben wir brav Masken getragen, um die Gemälde nicht zu infizieren, und anschließend aus lauter Wiedersehensfreude noch längere Zeit geplaudert, bei ein paar Brötchen und einem Glas Sekt naturgemäß ohne Maske.
Ende Juni nahm ich dann mit weit mehr als 500 Menschen an der Maturafeier meines Enkels im Wiener Stephansdom teil. Auch dort war man auf das Abstandhalten bedacht, obwohl kaum zu erkennen war, wer von den Eltern und Großeltern der Maturantinnen und Maturanten im gleichen Haushalt lebt. Egal, nachher am Stephansplatz standen die Menschen ohnedies in großen Gruppen zusammen.
Da der Babyelefant vielleicht für einen Dom zu kindisch ist, hat man auf den Pulten der Kirchenbänke Holzstäbe in der Länge eines Meters bereitgestellt. Offenkundig traut man den Gläubigen nicht zu, die Länge der Strecke, die das Licht im Vakuum in 1/299792458 Sekunden zurücklegt, auch ohne Hilfsmittel halbwegs exakt abschätzen zu können. Ich hätte mir gerne so einen Stab als Souvenir mitgenommen aber das wäre wohl Kirchendiebstahl gewesen.
Im Juli war dann schon wieder alles anders. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen stieg mehrmals auf über hundert und erreichte mit 180 am 30. Juli einen schon seit April nicht mehr da gewesenen Höchstwert. Die Regierung entschloss sich zu einer neuerlichen Verschärfung der Maskenpflicht.
Mitten in diese Zeit platzte das Urteil des Verfassungsgerichtshofes, welcher nach Einlegen einer Sonderschicht am 14. Juli die Aufhebung der COVID-19 Regeln in zwei Punkten beschloss. Der eine war die Ungleichbehandlung bei der schrittweisen Öffnung der Geschäfte. Auch wenn sich die Beamten in ihrer Stellungnahme noch so sehr bemühten, der Verfassungsgerichtshof vermochte nicht einzusehen, dass ausgerechnet Bau- und Gartenmärkte zur Grundversorgung gehören und daher zum Unterschied von anderen, etwa Möbelmärkten, auch bei einer Verkaufsfläche von mehr als 400 m2 schon offenhalten dürfen. Gewiss stürmten die Leute schon am ersten Tag der Öffnung diese Märkte als gäbe es kein Morgen. Aber vielleicht hätte ja der eine oder andere statt einer Gartenbank dringend ein Sofa erwerben wollen, und das war in größeren Geschäften noch weiter verboten.
Der zweite Punkt der verfassungsgerichtlichen Kritik war aber weitaus gravierender. Während das am 15. März vom Parlament beschlossene Gesetz ausdrücklich nur das Betreten von bestimmten Orten untersagte, hat das zuständige Ministerium als Verordnungsgeber das Betreten öffentlicher Orte an sich verboten und nur die bekannten Ausnahmen erlaubt. Diese Verordnung hat aber der gesetzliche Auftrag nicht gedeckt.
Kaum war das Verfassungsgerichtshoferkenntnis heraußen, haben sich auch schon wieder die seuchenbewussten Besserwisser in den Internetforen zu Wort gemeldet, die da meinten, wichtig sei die Gesundheit und so gesehen, seien die Maßnahmen der Regierung schon richtig gewesen. Ja, eh. Aber solche (freiheitsbeschränkende) Maßnahmen bedürfen einer eindeutigen und klaren gesetzlichen Deckung. Sonst sind wir zwar vielleicht irgendwann wieder alle coronafrei, leben aber halt in keiner parlamentarische Demokratie mehr.
Dabei haben die Höchstrichter ohnedies eine „Fleißaufgabe“ gemacht und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zur Bekämpfung einer Pandemie Freiheitseinschränkungen zulässig seien, aber eben durch ein Gesetz…
„Schuld“ an dem Ganzen ist somit nicht oder nicht nur der Gesundheitsminister und seine Beamten, sondern das Parlament, das am 15. März ein für das gesetzte politische Ziel der Seuchenbekämpfung untaugliches Gesetz erlassen und auch in den folgenden Wochen nicht verbessert hat. Der oberste Verfassungsrichter Christoph Grabenwarter hat am 24. Juli beim Symposium „Hundert Jahre Salzburger Festspiele“ auf die Pflicht des Parlamentes verwiesen, „hinreichend vorbereitete und klare Gesetze“ zu beschließen. Das erfordert freilich einen hoch qualifizierten legistischen Dienst des Parlamentes, einen Austausch mit Experten, aber auch Praktikern über „Wirkungen und unerwünschte Wirkungen“ eines geplanten Gesetzes und nicht zuletzt, dass die Damen und Herren Volksvertreter ihren Hausverstand bemühen, inwieweit die gesetzlichen Vorgaben das politische Ziel erreichen können. Von einer solchen notwendigen Aufwertung des Parlamentes ist schon lange die Rede, geschehen ist bisher nicht viel. Vielleicht kann das Corona-Virus auch hier als Initialzündung wirken.
Mit 31. Juli beende ich (vorläufig) mein Tagebuch. Wie wird es weitergehen? Weder haben sich bisher die optimistischen Prognosen von einem Ende der Seuche und einer „Wiederauferstehung“ unseres alltäglichen Lebens bewahrheitet, noch die Untergangsprophezeiungen einer baldigen „zweiten Welle“. Was tatsächlich eingetreten ist, wurde kaum propagiert, weil es halt auch keine sensationelle Meldung ist. Ein endloses Dahindümpeln der Seuche auf niedrigem Niveau, je nachdem ob wieder einmal ein paar jungen Menschen ihrem Lebensdrang allzu sehr nachgegeben haben oder die Missstände manch prekärer Arbeitsverhältnisse offenbar wurden.
Wird es je wieder eine Rückkehr zur „alten Normalität“ geben oder nur mehr eine „neue Normalität“, die für alle, die dem Babyalter bereits entwachsen sind, ja doch keine sein kann. Wir wissen es nicht. Nein, ich glaube nicht, dass die Corona-Pandemie von Bill Gates, chinesischen Machthabern oder sonstigen Bösewichtern inszeniert worden ist. Aber eines dürfte klar sein: Dieses Ereignis, egal, ob es der Natur anzulasten ist, dem menschlichen Umgang mit dieser oder irgendwelchen unbekannten finsteren Machenschaften, hat unsere Gesellschaft verändert und das wohl auf Dauer.
Daher wäre es nicht schlecht, sich seine Normalität selbst zu schaffen, indem man auf den eigenen Verstand setzt, und – so man gläubig ist – darauf vertraut, dass jedenfalls alles gut werden wird. .Dafür benötige ich keine Hobbyerzieherinnen und –erzieher, die mir in den Internetforen tagaus, tagein in immer gleichen Wendungen erzählen, wie verantwortungsbewusst sie sind, weil sie Masken tragen und dass sie sich dadurch keineswegs in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen. Ich werde weiterhin niemandem die Hand oder eine Umarmung verweigern, der sie mir geben will, anderenfalls mich mit einem freundlichen Kopfnicken begnügen. Ich werde Masken tragen, wo mir dies sinnvoll erscheint und selbst dort, wo es – zwar sinnbefreit – von Gesetzes wegen angeordnet wurde, weil es sich dabei um eine noch tolerierbare Freiheitseinschränkung handelt. Man sollte halt nur immer achtsam sein, nicht nur gegenüber dem Virus. Die jüngst für die Maskenpflicht ausgegebene Begründung , Masken in jenen Läden vorzuschreiben, die man aufsuchen „muss“, beinhaltet schon wieder die obrigkeitliche Anmaßung, zu wissen, was man tun müsse und was nicht. .
„So schnell kann´s gehen“. Was ist nicht alles an staatlichen, insbesondere fiskalpolitischen Zielen der Regierung, unternehmerischen Initiativen und privaten Plänen binnen Wochen durch diese Seuche Makulatur geworden. In der christlichen Bibel wird dem Gutsherren, der für seine reiche Ernte größere Scheunen baut, um sich in Ruhe seines Reichtum erfreuen zu können, die Gewissheit beschieden, dass er ein „Narr“ sei. Vielleicht sollten wir künftig in allem und jedem, auch in unseren persönlichen Überzeugungen etwas weniger närrisch sein. Dann hätte die Sache doch irgendetwas Gutes gehabt.
Wunderbar beschrieben, vielen Dank 👍
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